Risikofaktoren invasiver Mykosen erkennen
Invasive Mykosen frühzeitig zu diagnostizieren, ist eine große Herausforderung. Aufgrund der unspezifischen Symptome ist das Erkennen von Risikofaktoren für die richtige Diagnose wichtig. Sind gängige Risiko-Scores ein geeignetes Hilfsmittel, um besonders gefährdete Patientinnen und Patienten zu identifizieren?
Weltweit stellen invasive Mykosen ein wachsendes Problem dar und sind mit einer erheblichen Morbidität und Mortalität verbunden.1,2 Dies ist u. a. auf eine stetig steigende Zahl von Risikopatientinnen und -patienten z. B. unter immunsuppressiver Therapie zurückzuführen.1 Die häufigsten nosokomialen Erreger sind Candida und Aspergillus, wobei die Gattung Candida für etwa 70 bis 90 % aller invasiven Mykosen verantwortlich ist.3
Von Kommensale zum Pathogen
Candida-Spezies sind kommensale Pilze, die unter normalen Bedingungen keine lebensbedrohliche Gefahr darstellen. Durch Translokation aus dem Darm z. B. nach einer Abdominal-OP können kommensale Candida eine Candidämie auslösen.4 Ausgehend hiervon kann der Pilz in diverse Gewebe disseminieren und tiefsitzende sekundäre Infektionen in Organen (z. B. in Lunge, Leber, Herz, Auge) oder intra-abdominale Abszesse, Peritonitis oder Osteomyelitis auslösen.4,5 Es gibt keine spezifischen Symptome der invasiven Candida-Infektion (ICI).5 Daher sollte bei Patientinnen und Patienten mit bekannten Risikofaktoren (siehe Tab. 1) und unerklärlichem antibiotikarefraktärem Fieber eine ICI vermutet werden.5 Invasive Candidosen sind immer als lebensbedrohliche Erkrankungen einzuordnen.6
Etwa 30 bis 40 % aller Candidämien sind katheterassoziiert.6
Risikofaktoren für invasive Candida-Infektionen
Es gibt gut beschriebene Risikofaktoren für ICI, die für alle hospitalisierten Personen, insbesondere aber für Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation gelten:5
Generelle Risikofaktoren | |
Intrinsisch | Kolonisierung mit Candida, Diabetes mellitus, Darmperforation, hohes Lebensalter, Pankreatitis, Sepsis und Schweregrad der Erkrankung |
Iatrogen | Dialyse (besonders Hämodialyse), Breitspektrum-Antibiotika, zentraler Venenkatheter, Kortikosteroide und weitere Immunsuppressiva, gastrointestinale OP oder andere große OP, Linksventrikuläres Herzunterstützungssystem (LVAD), Langzeitaufenthalt im Krankenhaus oder auf Intensivstation, kontrollierte Beatmung und vollständige parenterale Ernährung |
Zusätzliche Risikofaktoren bei Patientinnen und Patienten mit geschwächtem Immunsystem | |
Intrinsisch | Graft- vs. Host-Erkrankung (GvHD), Mukositis und schwere Neutropenie (< 500 Zellen/µl) |
Iatrogen | Organtransplantation und Stammzelltransplantation |
Abb. 1: Risikofaktoren für invasive Candida-Infektionen. Modifiziert nach 5
Auch die Onkologie ist betroffen
Außer bei Intensivpatientinnen und -patienten können ICI auch bei Personen mit Krebserkrankungen zu schwerwiegenden Komplikationen führen – sowohl im Rahmen der Grunderkrankung als auch in Folge der antineoplastischen Therapie.7 In der aktuellen Onkopedia Leitlinie „Invasive Pilzinfektionen - Therapie“ werden für diese Personengruppe zusätzlich ein hoher „morbidity score“ (APACHE II/III > 20) und ein hoher Bedarf an Bluttransfusionen (ohne Mengenangabe) angegeben.7 Die Risikofaktoren bei hämatoonkologischen Patientinnen und Patienten für invasive Aspergillus-Infektionen weichen teilweise ab.7
- Hämatologische Neoplasien (insbesondere akute Leukämien) unter Chemotherapie, insbesondere während der Induktionstherapie
- Ausmaß (Nadir) und Dauer der Neutropenie (insbesondere prolongiert > 21 Tage)
- Allogene Stammzelltransplantation (SZT; sehr selten nach autologer SZT)
- Immunsuppressive Therapie (insbesondere Kortikosteroide)
- Chronische Lungenerkrankungen
- Diabetes mellitus (spez. Mucorales)
- Unkontrollierte hämatologische Neoplasie
- Lymphozytopenie, Lymphozytendysfunktion
- In der Anamnese nachgewiesene invasive Mykose (z. B. pulmonale Aspergillose)
- Exposition gegenüber Schimmelpilzen (Bautätigkeit, Pflanzenerde, Nahrungsmittel)
- Akute und chronische Graft-vs.-Host Erkrankung (GvHD) nach allogener Blutstammzelltransplantation (HSCT)
Abb. 2: Risikofaktoren für die Erkrankung an invasiven Aspergillus-Infektionen bei hämatoonkologischen Patientinnen und Patienten. Modifiziert nach 7
Massenspektrometrie gewinnt in Diagnose an Bedeutung
Die ICI-Diagnose basiert auf der kulturellen Anzucht aus physiologisch sterilen Körperflüssigkeiten oder Gewebe, alternativ auf dem histo- oder zytopathologischen Nachweis im geschädigten Gewebe bzw. sterilen Materialien.6 Klinisch relevante Testverfahren sind zudem der Galactomannan-Test, der Nachweis von β-D-Glucan, PCR-basierende Methoden sowie bildgebende Verfahren wie z. B. eine Computertomographie.8 In jüngster Zeit hat sich die Massenspektrometrie (MALDI-TOF MS*) als eine zuverlässige Methode zur schnellen Erregeridentifizierung herausgestellt.6
Die aktuelle Onkopedia-Leitlinie „Invasive Pilzinfektionen – Diagnostik“ beinhaltet ein Fließschema zum diagnostischen Vorgehen bei Patientinnen und Patienten mit Risiko für invasive Pilzinfektionen.8
* matrix-assisted laser desorption ionization-time of flight mass spectrometry
Risiko-Scores: Fluch oder Segen?
Aufgrund der Zeit- und aufwandsintensiven Diagnostik wurden verschiedene Scores entwickelt und publiziert, wie z. B. der Candida-Score, um die Diagnose zu unterstützen.9 Ein Kritikpunkt ist, dass Scoring-Systeme einen hohen negativen, aber einen niedrigen positiven Vorhersagewert habe. Sie sind also evtl. eher dazu geeignet Patientinnen und Patienten zu identifizieren, die keine ICI haben oder entwickeln werden.4
In einem jüngsten Review (Soriano et al.) wird spekuliert, dass Risiko-Scores wie der Candida-Score mit einem diagnostischen Test mit kurzer Wartezeit (z. B. (1,3-)-β-D-Glucan), kombiniert werden könnten, um eine genauere und zeiteffiziente Vorhersage invasiver Candida-Infektionen zu ermöglichen.4
In der prospektiven Beobachtungsstudie zur Evaluierung des Scores korrelierte ein Ergebnis von ≥ 3 sehr eng mit dem Auftreten einer invasiven Candida-Infektion.6,9
Eingeschlossen waren 1.107 kritisch kranke Patientinnen und Patienten ohne Neutropenie.
OP bei Aufnahme auf Intensiv | 1 Punkt |
Vollständige parenterale Ernährung | 1 Punkt |
Schwere Sepsis | 2 Punkte |
Candida Kolonisierung | 1 Punkt |
- Enoch DA et al. The Changing Epidemiology of Invasive Fungal Infections. In: Lion T, editor. Human Fungal Pathogen Identification: Methods and Protocols. New York, NY: Springer New York; 2017. p. 17-65.
- Bongomin F et al. Global and Multi-National Prevalence of Fungal Diseases-Estimate Precision. J Fungi (Basel). 2017;3(4).
- Delaloye J, Calandra T. Invasive candidiasis as a cause of sepsis in the critically ill patient. Virulence. 2014;5(1):161-169.
- Soriano A et al. Invasive candidiasis: current clinical challenges and unmet needs in adult populations. J Antimicrob Chemother. 2023;78(7):1569-1585.
- Pappas PG et al. Invasive candidiasis. Nat Rev Dis Primers. 2018;4:18026.
- S1 Leitlinie Diagnose und Therapie von Candida Infektionen, AWMF-Register Nr. 082/005, verfügbar unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/082-005l_S1_Diagnose-Therapie-Candida-Infektionen_2020-09.pdf abgerufen am 31.08.2023.
- Onkopedia Leitlinien: Invasive Pilzinfektionen - Therapie, verfügbar unter: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/invasive-pilzinfektionen-therapie/@@guideline/html/index.html#litID0ETMBG abgerufen am: 31.08.2023.
- Onkopedia Leitlinien: Invasive Pilzinfektionen - Diagnostik, verfügbar unter: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/invasive-pilzinfektionen-diagnostik/@@guideline/html/index.html abgerufen am 31.08.2023.
- León C et al. Usefulness of the "Candida score" for discriminating between Candida colonization and invasive candidiasis in non-neutropenic critically ill patients: a prospective multicenter study. Crit Care Med. 2009;37(5):1624-1633.
Job Code: DE-RZF-2300012 | Prepared: September 2023